Deutsche Rezension: Prof. Rabkin “Was ist Israel?”

Liebe Leserinnen und Leser,

 

aufgrund des allgemeinen Interesses auch von Seiten der deutschen Leserinnen und Leser am Werk von Prof. Rabkin, dessen Inhaltsangabe wir gestern in englischer Sprache veröffentlicht haben, haben wir uns entschieden, auch die deutsche Übersetzung zu veröffentlichen.

 

Wir freuen uns auf Ihr Feedback zu diesem wertvollen Beitrag zur Literatur über den jüdischen Antizionismus und den wichtigen Aspekte der christlichen Wurzeln des Zionismus.

 

Bitte senden Sie uns Ihr Feedback an info@promosaik.com 

 

Dankend

 

Dr. phil. Milena Rampoldi

Redaktion von ProMosaik e.V.  

 

 

Was ist Israel?

 

Inhaltsangabe

french cover 

 

 
 

Am Ende des 19. Jahrhunderts ließ sich eine Gruppe emanzipierter, säkularer Juden aus Mittel- und Osteuropa eine revolutionäre Idee einfallen. Indem sie das Judentum mit seinem Werten und Geboten hinter sich ließen, artikulierten sie die Idee des jüdischen Nationalismus, der von zahlreichen Menschen in ihren Regionen von Ungarn bi s Estland inspiriert war, die nach Selbstbestimmung und nationaler Unabhängigkeit strebten. Der Zionismus fand seine eifrigsten Anhänger im russischen Reich, wo die säkularisierte Jugend innerhalb des jüdischen Ansiedlungsrayons nicht nur enthusiastisch die Idee begrüßte, sondern sich auch eifrig anbot, diese in die Praxis umzusetzen.

 

Gleichzeitig stieß die zionistische Idee weltweit auf die Gleichgültigkeit und sogar auf die Feindseligkeit unter den Juden verschiedener politischer und religiöser Überzeugungen. Das Buch gibt dem Leser Aufschluss über die verschiedenen Quellen des jüdischen Widerstandes gegen den Zionismus. Während das Land Israel auf einer spirituellen Ebene zentral in der jüdischen Tradition ist, so kann diese Tradition gleichzeitig auch vor jeglicher Massenmigration warnen, und dies allein schon aufgrund der Gewaltanwendung, die vor der Ankunft des Messias erforderlich ist, um sie umzusetzen. Der Zionismus stellte somit einen scharfen Bruch mit der jüdischen Kontinuität dar.

 

In der Tat kam die Idee einer physischen Ansammlung der Juden im Heiligen Land unter den Christen auf, die das Ziel verfolgten, die zweite Ankunft Christi zu beschleunigen. Dieses Buch erforscht die unzureichend bekannte Tatsache der christlichen Wurzeln des Zionismus, eine Eigenschaft, die uns dabei behilflich sein kann, die mächtige Unterstützung des Staates Israel in den Vereinigten Staaten zu erklären, wo die Gruppen evangelischer Protestanten zahlreich und einflussreich sind. Diese sehen im modernen Israel die Verkörperung ihres Glaubens und unterstützen Israel als Bollwerk gegen den Islam. Des Weiteren inspiriert das Beispiel Israels auf den Ebenen der wirtschaftlichen Entwicklung, der Sicherheitsdienste und der Einwanderungskontrolle rechtsradikale Politiker in vielen Ländern.

 

Ich möchte Sie bitten, auch diesen Artikel darüber zu lesen:

 

Seitdem die Emanzipation den Juden aus Mittel- und Westeuropa Gleichberechtigung versprochen hatte, mussten sich die Juden der Wahl zwischen den liberalen, gemischten Gesellschaften und einem eigenen Nationalstaat stellen. Dieses Dilemma bestimmt immer noch die jüdischen Einstellungen zur Politik und der Beschaffenheit des israelischen Staates, von der bedingungslosen Unterstützung der israelischen Politik und Praxis bis hin zur prinzipientreuen Ablehnung des Zionismus — oder der nationalen Definition der Juden. Das Thema rund um die jüdische Identität spielt vor allem eine Rolle, indem es die Legitimität des Staates Israel herausfordert. Dieses Thema spaltet die Juden viel mehr als jegliche andere politische, soziale oder religiöse Frage. Dieses Buch tritt so der Vorstellung entgegen, dass jeder Jude notwendigerweise ein Zionist ist und daher ein natürlicher Befürworter des Staates Israel. Denn es handelt sich hierbei um einen Mythos, auf dessen Boden der zeitgenössische Antisemitismus gedeiht.

 

Jedes Werk über Israel muss sich mit der Frage des Antisemitismus auseinandersetzen. Dieses Buch zeigt auf, dass der Zionismus viel mehr als nur eine Reaktion auf die antisemitische Verfolgung ist. Es gibt uns Aufschluss über die Modalität, nach der bestimmte Juden den Holocaust in den theologischen Rahmen einer Jahrtausende alten jüdischen Tradition integrieren, während andere das Gedächtnis des NS-Völkermordes als ein mächtiges Argument für die nationale Einheit in Israel und die zionistische Loyalität in der Diaspora nutzen.  

 

Dieses Buch ist ein zeitgerechter Beitrag zu einer bereits vielfältigen Literatur. Es erweckt sowohl das Interesse derer, die sich für Außenpolitik, zeitgenössische Geschichte des Mittleren Orients und jüdische Geschichte, als auch der Leser, die sich für die Zukunft der Juden und des modernen Israels interessieren. Indem es zahlreiche historische Episoden ans Licht bringt, die entweder vertuscht oder einfach nur vergessen wurden, bietet dieses Buch eine innovative Perspektive hinsichtlich der Errungenschaften der zionistischen Gründer Israels, eines Staates, der sich als wissenschaftliche, technologische und militärische Macht abzeichnet.

 

Dieses Buch, das ursprünglich in französischer Sprache verfasst wurde, wurde im Juni 2012 in Tokyo in japanischer Übersetzung veröffentlicht. Die Rechte an der Übersetzung gehören dem Autor. Im Frühjahr 2015 wird das Werk auch in seiner russischen Übersetzung veröffentlicht werden.  

 

 Japanese cover

 

Print

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

  1. Der israelische Staat heute
  2. Das Land Israel in der jüdischen Tradition
  3. Das europäische Judentum zwischen Gleichberechtigung und Ausrottung
  4. Die Rückkehr in der Geschichte und die Rückkehr in das gelobte Land
  5. Das zionistische Vorhaben

5.1             Getrennte Entwicklung im Gegensatz zur liberalen Gesellschaft

5.2             In den Fußstapfen des europäischen Nationalismus

5.3             Kolonisierung

5.4             Die Erschaffung einer neuen Sprache

5.5             Die Erschaffung eines neuen Menschen

5.6             Die russische Dimension

  1. Der NS-Völkermord, sein Gedächtnis und seine Lehren
  2. Aufbau und Erhalt des zionistischen Staates

7.1             Politische und militärische Aspekte

7.2             Soziale und kulturelle Aspekte

  1. Der jüdische Widerstand gegen den Zionismus

8.1           Religiös und spirituell  

8.2           Politisch und sozial  

8.3           Kritik an der Gewaltanwendung

  1. Die israelische Gesellschaft und die jüdischen Gemeinden im Wandel
  2. Internationale Dimensionen.

 

Informationen über den Autor

 

Yakov M. Rabkin ist Professor für Geschichte an der Universität von Montreal in Kanada, an der er seit 1973 lehrt. Seine Schwerpunktbereiche umfassen die zeitgenössische jüdische Geschichte und die Geschichte der Wissenschaft. Er veröffentlichte und bearbeitete fünf Bücher und mehr als dreihundert Artikel. Sein letztes Buch mit dem Titel A Threat from Within: a Century of Jewish Opposition to Zionism (Palgrave Macmillan/Zed Books) erörtert die Kritik am israelischen Staat durch verschiedene führende jüdische Denker. Es ist bereits in dreizehn Sprachen veröffentlicht worden und wurde für den Governor General’s Award in Kanada und den Hecht Award in Israel nominiert und anlässlich des Rendez-vous de l’histoire in Blois, Frankreich, ausgezeichnet. Die japanische Übersetzung wurde von der Tageszeitung Asahi Shimbun als eine der besten drei Sachbuchübersetzungen des Jahres ausgewählt.

 

what is modern israel 3 

 

 

Die Universitätskurse und –seminare von Prof. Rabkin schließen Analysen der Schnittstelle zwischen Religion und Politik ein. Er ist auch seit langer Zeit ein aktiver Teilnehmer am interreligiösen Dialog und kommentiert regelmäßig die Außenpolitik sei es in der Presse (Baltimore Sun, Toronto Globe and Mail, La Presse, Le Devoir, Frankfurter Allgemeine Zeitung, International Herald Tribune, Jerusalem Post und Haaretz) als auch in den elektronischen Medien (Radio-Canada, CBC, PBS, Télé-Québec, CTV, Radio Ville-Marie, RTV Belge und Radio France). Er wurde auch für verschiedene Filme über die jüdische und israelische Geschichte interviewt.

 

 

 

 

Hier auch ein wichtiger Artikel, der am 15.05.2008 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurde:

 

Fremde Federn: Yakow Rabkin

Damit Israels Traum von der Normalität wahr wird

Wenige Wochen vor Israels sechzigstem Staatsgeburtstag war in der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ eine Klage über die bedingungslose Unterstützung für Israel zu lesen, die zuvor Bundeskanzlerin Merkel in Jerusalem bekräftigt hatte. Denn mittlerweile sind viele Israelis der Ansicht, derlei Unterstützung schade ihrem Land letztlich, weil es ihm erlaube zu tun, was es wolle, ohne dafür jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden. Diese Israelis glauben auch, dass ihr Land es schon lange verdient hätte, wie ein normaler Staat behandelt zu werden statt wie der Vermächtnisverwalter des Holocaust. Die Hilfe, die der deutsche Staat heute den Opfern des Holocaust leistet, verbessert deren Lebensumstände; Deutschlands Blankounterstützung für den Staat Israel hingegen unterminiert nicht nur die Zukunft der Einwohner Israels, sondern ignoriert auch die Lehren, die viele Deutsche aus dem Holocaust gezogen haben.

Hannah Arendt, eine deutsche Jüdin, die vor den Nationalsozialisten in die Vereinigten Staaten floh, schrieb über die Verbrechen der Nazis unter dem Vorzeichen der „Banalität des Bösen“. Sie war fest davon überzeugt, dass mörderische Amoralität nicht auf eine Nation oder eine Ideologie begrenzt sei. Eine ganze Reihe prominenter Juden deutscher Abstammung zog aus der Geschichte des nationalsozialistischen Völkermordes ähnliche Lehren. Wie Arendt warnten der Theologe Martin Buber, der Philosoph Ernst Simon und der Physiker Albert Einstein vor den Gefahren, die ein auf den Ausschluss anderer abzielender ethnischer Nationalismus in sich trägt. Deshalb unterstützten sie in der Folge des Zweiten Weltkrieges die Idee eines gemeinsamen Staates für alle Bewohner Palästinas: für Araber und Juden.

Jene, die die zionistische Bewegung dominierten, hatten aus der Geschichte freilich eine andere Lehre gezogen: Für sie war der Holocaust die Folge einer militärischen Schwäche der Juden. Sie setzten nun erfolgreich auf militärische Mittel, was die egalitären Hoffnungen jener deutschen Juden allerdings zunichtemachte. Beinahe 800000 arabische Einwohner Palästinas wurden vertrieben; so entstand ein „leerer“ Raum für einen Staat für die Juden. Das Heilige Land wurde in einen nicht enden wollenden Konflikt gestürzt.

Unvermeidlich war dieses Ergebnis nicht. Noch bevor der Krieg von 1948 endete, sah Hannah Arendt voraus, wie riskant es war, eine Ethnokratie zu errichten, die sich auf militärische Gewalt würde stützen müssen. Selbst wenn die Juden den Krieg gewännen, schrieb sie damals, so lebten „die ,siegreichen’ Juden“ am Ende doch umgeben von einer feindseligen arabischen Bevölkerung und permanent beschäftigt mit der körperlichen Selbstverteidigung. Und so viele Einwanderer Israel auch aufnehme und so weit es seine Grenzen auch ausdehne, so Ahrendt weiter – es werde doch stets ein Land mit einem kleinen Volk bleiben, dem die feindlichen Nachbarn zahlenmäßig überlegen sein würden.

Diese Worte sind heute so schmerzhaft wahr wie damals. Israels überwältigende Macht hat dem Land keinen Frieden gebracht. Deshalb erwarten viele Israelis auch, dass Deutschland – gemeinsam mit den anderen westlichen Demokratien – ihr Land zum Kompromiss und zur

Integration dränge. Kanzlerin Merkel allerdings enttäuscht diese Hoffnungen auf eine Normalisierung weiterhin, indem sie Israel die stets gleiche Botschaft bringt: „Deutschland und Israel sind und bleiben durch die Erinnerung an den Holocaust immer auf eine besondere Weise verbunden. Der Holocaust erfüllt uns Deutsche mit Scham.“

Viele Deutsche meinen es gut, aber sie verwechseln Juden, die im Holocaust wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu leiden hatten, mit dem Staat Israel, der als eine Ethnokratie für die Juden erdacht wurde. Israels Leitideologie fußt auf der Überzeugung, es sei unmöglich für einen Juden, in einem anderen Land der Welt als Israel jemals vollständig akzeptiert zu werden. Viele Juden teilen diese Überzeugung nicht. Haben sie die Gelegenheit dazu, so ziehen sie – inklusive vieler Israelis – friedliche pluralistische Demokratien dem bedrohten Israel vor: Hunderttausende Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wanderten Ende des zwanzigsten Jahrhunderts nach Deutschland und in andere westliche Länder aus. Israels Gründer wünschten sich leidenschaftlich, ihr Land möge als ein „normaler Staat“ behandelt werden. Es ist an der Zeit, dass dieser Traum wahr wird. Auch Deutschland sollte Israel behandeln wie einen Staat wie jeder andere. Israels Gründer verabschiedeten sich von traditionellen jüdischen Werten der Gewaltlosigkeit und schufen die Vorstellung des „Muskeljuden“.

Israels Verhalten setzt sich über jene Lehren hinweg, die viele Deutsche aus der Geschichte des Nationalsozialismus gezogen haben, vor allem diese: wie wichtig es ist, eine pluralistische Demokratie zu errichten, deren Grundlage die Gleichheit aller ist. Jene Spielart des Zionismus, die in Israel den Sieg davongetragen hat, ist nicht jene, die auf Teilhabe und Spiritualität setzt und die Martin Buber so am Herzen lag, sondern die auf Ausschluss bedachte Version des Wladimir Jabotinsky.

Deutschlands Kniefall vor dem Staat Israel speist sich aus dem Mythos, Israel repräsentiere die Juden in aller Welt und sei ihre natürliche Heimat. Statt Israel wie ein kollektives Opfer des Holocaust zu behandeln, sollte Deutschland es begreifen als ein Land des Mittleren Ostens, das seine eigene Geschichte, seine eigenen Interessen und Werte besitzt. Deutschland sollte Israel behandeln wie jedes andere Land in der Region: nach seinen Verdiensten. Das würde dazu beitragen, dass der Traum der zionistischen Gründerväter wahr würde: dass Israel eine normale Nation wird.

Der Autor ist Professor für Geschichte an der Universität von Montreal.

 

E-Mail: yakov.rabkin@umontreal.ca

Telefonnummer: 1-514-343-7218

0 replies

Leave a Reply

Want to join the discussion?
Feel free to contribute!

Leave a Reply