„Die neue Generation muss diese Arbeit übernehmen“Interview von Marie-Jo Fressard, SOLIDMAR

ist für den Verein SOLIDARITÉ MAROC 05 tätig, der für die Solidarität mit den Völkern Marokkos und der Westsahara arbeitet. Sie verwaltet das Blog solidmar, das 2009 ins Leben gerufen wurde. In 6,5 Jahren wurden insgesamt 10.800 Beiträgeveröffentlicht, die von 3,2 Millionen Besuchern gelesen wurden. Es ist zu einer unentbehrlichen Informationsplattform über Marokko und die Westsahara geworden. Marie-Jo hat vor kurzem ein Buch über ihre Erfahrung als Patin der zwei ältesten Gewissensgefangenen in Marokko veröffentlicht. Sie hat auf die Fragen unserer Redaktion geantwortet.
Welche sind die wichtigsten Zielsetzungen Ihrer Initiative?
Ich war Lehrerin. Und das ist der Grund, wofür ich immer schon das Bedürfnis verspürt habe, das weiterzuvermitteln, was ich selbst entdeckt habe, und dies unabhängig davon, ob es sich nun um künstlerische Arbeiten für Kinder, Wanderwege oder die Auflehnung gegen die Menschenrechtsverstöße handelt. All dies tue ich Tag für Tag über das Blog Solidmar oder durch das Zeugnis meiner Begleitung als „Patin der zwei ältesten Gewissensgefangenen Marokkos“…
Ein Thema, das ProMosaik sehr wichtig findet, ist beispielsweise das (vgl. Maroc : Demande de poursuites contre les Juifs qui vont s’entraîner dans l’armée israélienne) über den Antrag auf Verfolgung der Juden, die zur israelischen Armee gehen.
Ich habe es immer abnormal gefunden, dass die Jugendlichen, die sich der Manipulation, der sie zum Opfer fallen, nicht bewusst sind und sich zum Beispiel in Syrien engagieren, beschuldigt bzw. unterdrückt werden, obwohl sie sich ehrlich, wenn auch naiv dafür einsetzen, aus Idealismus ein leidendes Volk zu unterstützen; aber ganz offensichtlich weiß ein Jugenndlicher, sei er Marokkaner oder nicht, ob nun Jude oder nicht, sehr wohl weiß, dass wenn man ihn dazu auffordert, sich der israelischen Armee anzuschließen, ist es nicht, damit er das palästinensische Volk unterstützt. Und dies wird nicht einmal kritisiert. Ich bin einfach der Meinung, dass die Verbreitung solcher Informationen wichtig ist.
Was kann man tun, um den Menschen den zionistischen Militarismus zu zeigen?
Unser Blog bringt nicht alle Nachrichten über die fürchterlichen Dinge, die sich in Palästina abspielen. Denn sie sind einfach zu viele. Aber wir verbreiten einige positive Informationen, die aufzeigen, dass bestimmte israelische Soldaten sich weigern, das Volk zu massakrieren, das seines Landes beraubt wurde. Hierzu möchte ich in Frankreich vor allem auf AFPS (France Palestine Solidarité) verweisen, um Informationen über Palästina und den Zionismus zu erhalten.
Wie kann man sich effizient darum bemühen, den politischen Gefangenen eine Stimme zu geben?
Ich habe die zwei ältesten politischen Gefangenen Marokkos in den letzten fünf Jahren ihrer 25jährigen Haft begleitet. Mein Zeugenbericht wurde gerade veröffentlicht (siehe hier im Folgenden). Derzeitig begleite ich zwei Gefangene aus der Westsahara (einer wurde zu 30 Jahren und der andere zu lebenslänglicher Haft verurteilt!). Heute bin ich mir einfach dessen bewusst, dass wir uns den unmenschlichen Haftbedingungen einfach ausgeliefert fühlen. Durch die zunehmenden Patenschaften kann man den Gefangenen unsere Freundschaft ausdrücken, in der Hoffnung, dass sie den Brief erhalten…. Die einzige Handlung, die ihnen wirklich weiterhelfen kann, ist die Verbreitung so vieler Informationen wie möglich über ihre Situation und die Proteste gegen die grausame Ungerechtigkeit, die die Einkerkerung wegen Ideen darstellt. Das marokkanische Regime will weiterhin den Anschein erwecken, dass es sich beispielhaft für die Menschenrechte einsetzt! Und wir müssen die Gelegenheit nutzen, um das Gegenteil zu beweisen. Denn die Situation verschlechtert sich nur noch.
Welche sind die wichtigsten Themen, die Sie auf Ihrem Blog behandeln?
Unser Blog wurde ins Leben gerufen, um die Verstöße gegen die Menschenrechte in Marokko und in der Westsahara zu denunzieren. Des Weiteren berichten wir auch über die tragische Situation der Migranten.
Fausto Giudice hat das Blog vor mehr als sehr Jahren ins Leben gerufen. Er hat mir erklärt, wie alles funktioniert. Das Ziel bestand darin, ein Netzwerk von Vereinen zu schaffen. Kein Verein hat sich uns bisher angeschlossen, aber Freunde, die zu verschiedenen Vereinen gehören, senden mir regelmäßige Informationen zu: Attac-Maroc, Asdhom, APSO (Amis du peuple du Sahara Occidental), die Friedensbewegung (Mouvement de la Paix), ACAT, AMDH… Manchmal verfassen auch die Mitglieder von Solidarité Maroc 05 einen Artikel…
Erzählen Sie uns von der Bedeutung der Vernetzung zwecks Verbreitung der Wahrheiten, von denen die traditionellen Medien nicht sprechen.
Das wäre natürlich ideal. Ich hätte mir die Vernetzung mit anderen Gruppen sehr gewünscht. Zu Beginn waren wir zu dritt: die beiden Vereine von Fausto, AZLS (Basta Yekfi) und Tlaxcala, und wir. Aber aufgrund der Zunahme der Informationen seit dem „Arabischen Frühling“, haben wir uns dann in verschiedene Informationsplattformen aufgeteilt: ich berichte über die Menschenrechtsverletzungen in Marokko und in der Westsahara und sie über den Rest der Welt.
Welche sind Ihre Ziele für die Zukunft?
Meine „Zukunft“ ist zeitlich begrenzt. Aber ich möchte meine Zeit so gut wie möglich nutzen: mein Buch in Marokko präsentieren, dort meine Freunde, die beiden Ahmed und ihre Familien wiedersehen, über das Problem der Haft in anderen Ländern sprechen, eventuell auch ein neues Abenteuer, ein neues Buch anfangen. Ich bin 82 Jahre alt, und obwohl ich mich mehr oder weniger noch in der Lage fühle, weiterhin Tag für Tag Informationen auf dem Blog „Solidmar“ zu veröffentlichen und unseren kleinen Verein zu leiten, wünsche ich mir doch, dass jemand die Nachfolge übernimmt. Leider sieht es so aus, als würde sich niemand für diese ehrenamtliche Arbeit interessieren. Ich nutze die Gelegenheit des Buches, um an die Jugend zu appellieren, um sich dieser Herausforderung zu stellen, indem sie es auf ihre Art tut und alle neuen Technologien nutzt, die uns, die Alten, überholen!
PATIN
DER ZWEI ÄLTESTEN POLITISCHEN HÄFTLINGE eben erschienen!
![]() Und durch eine lange Verkettung von Zufällen wird diese Faszination an dem Tag konkret, an dem ich „Patin“ eines politischen Häftlings aus Marokko, Ahmed Chahid, werde. Sieben Monate später kam der fast gleichnamige Häftling, Ahmed Chaïb, dazu. Beide befinden sich seit 20 Jahren im königlichen Knast in Marokko in Haft. Vorab wurden sie zum Tode und dann zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Das Buch erzählt von ihren letzten fünf letzten Jahren im Gefängnis, von den fünf Jahren harter Kämpfe mit schönen Momenten: unser erstes Treffen im Gefängnis von Oukacha; ein erster Sieg, als die lebenslängliche Strafe auf eine Haft von 25 Jahren vermindert wurde; und schließlich die Entlassung, 25 Jahre nach ihrer Verhaftung, mit einer Woche Abstand wie bei ihrer Verhaftung. Und nach diesem unendlichen Alptraum kommt die Integrationsbemühung in eine Welt, die keineswegs der Welt gleicht, die man ein Vierteljahrhundert vorher verlassen hat.
Ihre Geschichte gehört zur Geschichte Marokkos, zwischen Hassan II und Mohammed VI, zwischen Hoffnungen und Desillusionen…
Durch Zufall bin ich auf den Verlag ANTIDOTE gekommen, der vor kurzem in Belgien von einem sympathischen Team ehrenamtlicher Aktivisten gegründet wurde: Luk Vervaet, der Verteidiger der Häftlinge, die Seele von Antidote, Nicolas Ingargiola, ein junger, kompetenter und anspruchsvoller Techniker und Daniel Wagner, der sich um die redaktionelle Arbeit kümmert.
Der Schriftsteller Gilles Perrault war so freundlich, das Vorwort zum Buch zu verfassen und Khadija Ryadi, Preisträgerin des Preises der Vereinten Nationen für die Menschenrechte, hat das Nachwort geschrieben.
Bis Ende August wird das Buch für 10 EURO, franko, verkauft.
Es kann wie folgt bestellt werden:
– In Belgien bei Éditions Antidote (contact[at]antidote.be) unter der Kontonummer:
IBAN: BE20 0004 2359 4956
BIC: BPOTBEB1XXX – In Frankreich, über Scheck, mit Angabe des Zahlungsgrundes „livre Marraine“, an Solidarité Maroc 05, 17 rue Jean Eymar, 05000 Gap, (solidmar05[at]gmail.com). Es kann auch hier erworben werden:
Wir werden am 11., 12., 13. September bei der Fête de l’Huma, in la Courneuve, Frankreich, am Stand der AMDH, anwesend sein und werden einen Bestand von MARRAINE mitnehmen.
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3 zusätzliche Fragen an Marie-Jo
Welcher ist der Unterschied zwischen der Situation der politischen Gefangenen in Marokko unter Hassan II und Mohammed VI?
Die zwei Gefangenen, von denen ich spreche, haben die beiden Könige, Hassan II und Mohammed VI, kennengelernt. Die Situation, die schon nicht rosig war, verschlechterte sie nur noch, ohne dass es zu einem deutlichen Bruch zwischen den beiden Königen kam. Das Versprechen von Mohammed VI, « ein neues Kapitel nach den Années de Plomb (bleierne Jahre) aufzuschlagen”, wurde nicht eingehalten. Dutzende von Gefangenen, die unter Hassan II verhaftet wurden, wie die beiden Ahmed, wurden unter dem „neuen König“ nicht befreit. Leider war es mir seit 2012 nicht mehr möglich, ein marokkanisches Gefängnis zu besuchen, aber mir kommt vor, dass es an jeglicher Berufsethik fehlt, wenn es überhaupt mal eine gab. Beispielsweise stelle ich fest, dass die Pakete, die ich vor 2008 versendete, immer an die Häftlinge ausgehändigt wurden. Heute hingegen werden sie je nach Inhalt gestohlen. Im Nachwort zum Buch schreibt Khadija Ryadi auf Seite 104: diese „Wärter haben kein Gewissen… (…) Nicht einmal die elementarsten Regeln der Gefängnisse werden eingehalten. …“. Ein alter Häftling, Mohamed Bougrine, der vor einigen Jahren verstarb, hat das Gefängnis unter den drei letzten Königen kennengelernt. Man nannte ihn den „Häftling der drei Könige ». Er meinte: „Von den dreien, ist der letzte König der schlimmste von allen“.
Wie viele politische Häftlinge gibt es heute in Marokko, inklusive der Westsahara?
Der ehemalige Präsident des Vereins ASDHOM (Association de Défense des Droits de l’Homme au Maroc/Verein für die Verteidigung der Menschenrechte in Marokko) hatte eine Patenschaftskampagne für politische Häftlinge aus Marokko und der Westsahara in die Wege geleitet und zählte regelmäßig die Anzahl der Gefangenen, die von Woche zu Woche bedenklich zunahm. Leider hat er diese Kampagne plötzlich aus gesundheitlichen Gründe aufgeben müssen. Die Zahlen, über die ich verfüge, sind folgende:
Die politischen Häftlinge und Gewissensgefangenen waren in Marokko
240, davon 70 von der Bewegung des 20. Februar (M20F), in 2012:
240, davon 70 von der Bewegung des 20. Februar (M20F), in 2012:
261 im November 2013
370 im Juni 2014.
Die Gefangenen aus der Westsahara waren 2014 zwischen 60 und einigen Hunderten. Es gibt leider nur vage Zahlen. Manchmal gibt es auch Entlassungen. Einige Verhaftungen dauern wenige Stunden, andere Dutzende von Jahren. In der Westsahara dauern sie verschiedene Jahre, Dutzende von Jahren oder lebenslänglich.
Welche sind die universalen Lehren, die wir aus dieser Begleitung der politischen Gefangenen in Marokko ziehen können, um sie auf andere Realitäten, z.B. Palästinas, anzuwenden?
Ich denke, dass sich die Situationen ähneln, obwohl in Palästina viel mehr Brutalitäten begangen werden. Aber die Gemeinsamkeit besteht darin, dass die Palästinenser von einem Kolonialstaat unterdrückt und eingesperrt werden. Aber genauso wie die Sahrawi durch Marokko, werden auch die Marokkaner im eigenen Land eingesperrt und misshandelt. Das Ergebnis ist aber dasselbe Leid. Es braucht Patenschaften, in Marokko, in Palästina und in der Westsahara. Und man muss die Verstöße gegen die Menschenrechte denunzieren, auch wenn man manchmal den Eindruck hat, man würde mit einer Wand sprechen.
Das Interview wurde von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V.geführt