Dr. Verena Mutschlechner – Das Rezept gegen die Genitalmutilation der Frau ist die Aufklärung

Von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei ein Interview mit Dr. Verena Mutschlechner, einer Südtiroler Ärztin, die in Wien Medizin studiert hat und über verschiedene Reisen und Erfahrungen mit Migrantinnen und Migranten in Europa auch mit der weiblichen Genitalverstümmelung in Kontakt getreten ist. Ich habe mit ihr über die Lösung und Komplexität des Problems gesprochen. Und das Zauberwort lautet, wie wir bereits in unserer Publikation zum Thema „Islam against FGM“ hervorgehoben haben, „Aufklärung“. Denn falsche Traditionen und verdrehte und manipulierte „pseudoreligiöse“ Mythen lassen sich nur durch Wissen und ein neues Narrativ bekämpfen. Möchte mich nochmal bei Dr. Mutschlechner für Ihre Antworten bedanken.
 
 Milena Rampoldi: Wie wichtig ist die Verantwortung der Ärzte in der Bekämpfung der weiblichen Genitalmutilation?
​Verena Mutschlechner: Wir Ärzte haben in allen Bereichen die Aufgabe, Aufklärungsarbeit zu leisten. Wie viele andere „Traditionen“, die gegen die Frauenrechte verstoßen und der Frau Gewalt antun oder sie verstümmeln, basiert auch die Genitalmutilation auf einer falschen Erklärung der Welt, der Ehe und der Gesellschaft. Und hier müssen wir mit der Aufklärungsarbeit dringend ansetzen. FGM bedeutet nicht Reinheit und Unversehrtheit, sondern körperliche, emotionale, psychische und sexuelle Zerstörung des Lebens der Frau und der Gesellschaft, in der sie lebt. Daher sage ich Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung muss her, um dieser brutalen Tradition ein Ende zu setzen. Und medizinisch kann man am besten aufklären, wenn man aufzeigt, wie schädlich auch die leichteste Form der Genitalmutilation für die Frau ist.​
 
Welche Folgen hat die weibliche Genitalmutilation auf den Körper der Frau? Und welche sexuellen, psychologischen und emotionalen Folgen hat die weibliche Genitalmutilation?
Möchte an dieser Stelle mal wagen, die Männer zu fragen, was sie davon halten würden, wenn man ihnen Teile des Geschlechtsorgans einfach abschneiden würde. Die Genitalmutilation der Frau ist ein schweres Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit der Frau. Sie ist ein Eingriff in ihre Intimsphäre. Sie nimmt der Frau einen Teil ihres Körpers weg. Sie verursacht sexuelle, körperliche, emotionale und psychische Störungen, die sich auf die gesamte Gemeinschaft auswirken. Denn wer keine sexuelle Befriedigung erfährt, macht auch den Partner nicht glücklich. Es stauen sich auf diese Weise Aggressionen auf. Die Genitalmutilation führt zu Schmerzen beim Urinieren, zu Problemen während der Periode und erhöht das Risiko des Kindestods während der Geburt. In extremen Fällen kann sie auch zu Sterilität führen. Schmerzen während des Sexualverkehrs kommen dazu, ganz zu schweigen von der fehlenden sexuellen Befriedigung, die sich psychisch und emotional negativ auf das gesamte Leben der Frau auswirkt.
 
Wenn ​Gott die Frau „vollkommen“ erschaffen hat, wie es im Koran heißt, warum sollte man im Namen einer vollkommen abwegigen Tradition „eine geheime Quell des Glücks“ verletzen und für immer zerstören und „überflüssiges Leiden“ verursachen?
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ProMosaik ist der Ansicht, dass die weibliche Genitalmutilation die gesamte Gesellschaft kaputt macht, weil die Sexualität ein wichtiger Aspekt des Familienlebens ist und die Familie die Grundlage der Gesellschaft ist. Wie sehen Sie das?
Da stimme ich Ihnen zu. Denn Sexualität betrifft immer ein Paar und nicht nur eine Person. Die Sexualität gilt vor allem im Islam als das Mittel, um Harmonie in Familie und Gesellschaft herbeizuführen. Daher besteht der Islam auf das Recht der Frau auf sexuelle Erfüllung. Wenn diese nicht gegeben ist, hat das auch negativen Einfluss auf die Männer und die Gesellschaft als ganze. ​
 
Wie sollen Ärzte am besten mit dem Problem im Westen umgehen?
​Die „radikale Beschneidung  der Frau“ ist im Westen zum Glück nicht so sehr verbreitet​, aber jeder einzelne Fall, der illegal vorkommt, ist ein Fall zu viel. Und je mehr Migration aus den Herkunftsländern, in denen die Genitalmutilation üblich ist, desto mehr Aufklärung brauchen wir in den Gastgesellschaften. Aber wir dürfen uns nicht nur auf die Bekämpfung der pharaonischen Beschneidung beschränken, sondern müssen auch die „leichte“ Beschneidung abschaffen.
 
Welche sind die besten Strategien, um das Phänomen weltweit zu bekämpfen?
​Es bedarf einer medizinischen Aufklärung für Frauen und Männer, weltweit und kulturspezifisch​. Kulturspezifisch sage ich deswegen, weil die Aufklärung auf die kulturellen Besonderheiten der Menschen und Gemeinden fokussieren muss, in denen diese brutale Praxis noch als „Übergangsritus“ vom Mädchen- zum Frausein gefeiert wird.
 
 

 

 

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