ProMosaik interviewt Frau Ellen Rohlfs

Liebe Leserinnen und Leser,
 
was ich über Ellen Rohlfs persönlich sagen kann: sie ist eine unermüdliche, starke und sensible Frau. Ich identifiziere mich sehr mit ihr als Frau, weil sie auch denselben Beruf ausübt, den ich lange Jahre ausgeübt hatte. Sie ist Übersetzerin. Sie ist aber vor allem als engagierte Menschenrechtlerin und Pazifistin für Palästina bekannt. Sie engagiert sich für den Frieden in Palästina.
 Geboren wurde Frau Rohlfs 1927 in Tübingen. Sie vertritt die Friedensgruppe GUSH SHALOM und übersetzt auch die Texte von Uri Avnery, des Gründers des israelischen Friedensblocks ins Deutsche. 
 
Frau Rohlfs ist auch Gründungsmitglied des ICPPP, des International Committee for the Protection of Palestinian People, Sektion Deutschland. Grundsätzlich geht es ihr wie auch vielen Antizionisten weltweit darum, die Judenfrage der Schoa von der Palästinafrage zu trennen. Denn die traurige Geschichte der Judenverfolgung gibt Israel heute nicht das Recht, sich als kolonialistischer Terrorstaat in Nahost zu etablieren.
 
 Quelle: palästinaportal
 
Denn die heutige Geschichte Palästinas und seiner Tragödie ist nichts anderes als eine traurige Fortsetzung der deutschen “Judenfrage”, die auf dem Rücken des palästinensischen Volkes entledigt wird, und dies darf aus menschenrechtlichen, völkerrechtlichen, pazististischen und ethischen Gründen nicht sein. 
 
Für Frau Rohlfs darf uns die Verfolgung der Palästinenser einfach nicht unberührt lassen. Wir sind dazu verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen. Es geht um Versöhnung, um Menschenrechte. Und mit einem Israel, das auf Rassismus und Apartheid basiert, ist diese Versöhnung nicht denkbar. 
 
Frau Rohlfs kritisiert wie wir Israel gerade, um den Antisemitismus zu bekämpfen. 
 
1993 erhielt Frau Rohlfs das Bundesverdienstkreuz.
Im selben Jahr erschien auch ihr erstes Buch mit dem Titel “Sag, Mutter, wie sieht Frieden aus?” Es folgten dann 2000 das Buch “Die Kinder von Bethlehem” und 2007 “Nie wieder!? Was geschieht eigentlich hinter der Mauer in Palästina?”
 
  Quelle: palästinaportal
 
Ich möchte Frau Rohlfs herzlichst für Ihre Zeit danken und ihr das Wort übergeben.  
 
Freue mich auf Ihre Rücksprache zu diesem so augenöffnenden Interview
 
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V. 
 
 

Dr. phil. MIlena Rampoldi: Erklären Sie die Hauptthemen Ihres Buches!

 
Frau Ellen Rohlfs: Seit über 40 Jahren (genau seit 1964) beobachte ich, was in Palästina geschieht. In über 20 Reisen in die Region, zu den Menschen, zu Freunden auf beiden Seiten, wurde ich von Mal zu Mal trauriger über das, was dort geschieht. Irgendwann wurde mir klar, dass hier etwas ganz Schlimmes geschieht: nämlich ein langsamer, ja, schleichender Völkermord. Ich hatte schon länger Zitate von Israelis gesammelt, die das fürchteten oder die erschrocken waren über das, was in ihrem Land geschieht, andere drohten damit. Ich las auch viele Bücher über Israel/Palästina, bekam viele Mails, auch von Menschenrechtsorganisationen, übersetzte z.B. ein Buch von Felicia Langer: „Die Zeit der Steine“ u.a.
 
Eines Tages  war für mich der Punkt erreicht, wo ich mir sagte, ich muss etwas dagegen tun d.h. ich muss unsere Regierung darauf aufmerksam machen. Ich wollte mir aber noch den Rat eines jüdischen Freundes einholen, der selbst Auschwitz überlebt hat: Hajo Meyer. Er sagte: Das musst du veröffentlichen.
Und er schrieb mir das Vorwort.
 
 
 
 
Die juristische Definition von Völkermord/ Genozid folgt und danach ca. 50 Zitate aus jüdisch/israelischer Feder, die in verschiedener Weise – oft verdeckt –  den Genozid am palästinensischen Volk zum Thema haben..
Was geht diesen Aussagen voraus: in 13 Kapiteln  berichte ich, was den Palästinensern nicht gewährt wird  bzw. wie sie behandelt werden, nämlich brutal.
Im 2. Teil  habe ich Artikel von 12 Autoren, die sich mit dem Genozid in Palästina befassen z. B. von Ilan Pappe: „Genozid in Gaza.
Im 3. Teil habe ich Prose-Poems von mir, die im Laufe der Zeit zu aktuellen Vorfällen entstanden sind, aber auch das über den Holocaust: „Sechs Millionen“.
 
2.    Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie sehen Sie sich als Deutsche verpflichtet, für die Rechte der Palästinenser zu kämpfen?
 
Frau Ellen Rohlfs: Als Deutsche und Nicht-Jüdin wurde mir auch langsam klar, dass der Konflikt mit der europäischen und besonders mit der deutschen Geschichte zusammen hängt, also mit dem Völkermord an den Juden, dem Holocaust, den deutsche Nazis an etwa 6 Millionen Juden begangen haben. Auch wenn weder ich – 1942 war ich 14 – noch meine Familie in irgendeiner Weise an diesem Verbrechen beteiligt waren, fühlte ich mich als Deutsche mitbelastet.
Es ist aber auch der Antisemitismus, der in christlichen Ländern wie Frankreich (Dreifuß-Affäre) und in Russland (besonders nach christlichen Feiertagen) seit Jahrhunderten  grassierte, der das Leben der Juden bedrohte  ja oft zum Tode führte. .
Was geschieht heute? Nicht die Deutschen, nicht die sog. christlichen Länder werden von Israel bestraft. Das palästinensische Volk muss die Folgen  tragen, es wird zum indirekten Opfer des Holocaust, ein Opfer der Opfer. Das belastet mich. Das ist der Grund meines Engagements für das palästinensische Volk. 
 
 3.    Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig ist es, über die Verbrechen Israels nicht zu schweigen und warum?
 
Ellen Rohlfs: Das ist auch der Grund, weshalb unsere Regierung nicht zu den Verbrechen Israels schweigen sollte, denn Verbrechen können nicht mit Verbrechen – noch dazu an einem Volk, das nichts mit den deutschen Verbrechen zu tun hat – wieder gut gemacht werden. Auch um Israels willen müssen die Verbrechen laut und deutlich ausgesprochen werden. Es sind Menschen-rechtsverletzungen, die nicht schweigend akzeptiert werden dürfen.  – außerdem ist es auch für Israel selbst not-wendig, dass die zionistische Ideologie mit ihrem Rassismus und Kolonialismus überwunden wird, wofür aber höchstwahrscheinlich Druck von außen nötigt ist; denn mit dieser Politik der Unterdrückung  und brutaler Kriege zerstört es nicht nur das palästinensische Volk, sondern sich selbst, was inzwischen schon eine Reihe jüdischer Israelis selbst sagen. Die sog. „Staatsräson“ der deutschen Regierung wäre also besser dran, wenn sie ehrlicher, mutiger, wissender um die Realität Israels reagieren würde. „Wer sich Sorgen um Israel macht, sollte nicht länger schweigen“, hieß es in einem Aufruf von Juden im März 2013.
 
 
 
Quelle: Palästinaportal 
4.    Dr. phil. Milena Rampoldi: Berichten Sie uns von Uri Avnery!
 
Ellen Rohlfs: Uri Avnery ist einer der bekanntesten Israelis und Friedensaktivisten. Mit ihm und vor allem mit seiner Frau Rachel verbindet bzw. verband mich eine enge Freundschaft. Ich hab ihn (wie auch Felicia Langer) mit seiner Friedensgruppe Gush Shalom  wegen seiner unermüdlichen Friedensarbeit für den Alternativen Friedensnobelpreis, Stockholm, vorgeschlagen, den er 2001 erhielt. Uri hatte seit 1974 Kontakte zu palästinensischen Politikern und war ein Freund Arafats, für den er mit seiner Frau menschliches Schutzschild war, als israelische Soldaten vor seinem  halb zerstörten Haus ihn umbringen sollten. Er setzte sich für Gerechtigkeit und Frieden mit den Palästinensern und  für ihre Selbstbestimmung ein. Inzwischen ist er 92 und schreibt noch wöchentlich einen kritischen Artikel zur Situation in Israel. Ich darf sie seit Jahren ins Deutsche übersetzen. Man muss seine Bücher lesen z.B.  Ein Leben für den Frieden“.
 
 
 

 

Quelle: sueddeutsche.de
 
Was soll ich zu meinen Gedichten sagen? Sie sind meist auf Grund aktueller Ereignisse entstanden, die mich zu tiefst bewegten und traurig machten. Inzwischen macht mich die schreckliche Situation fast sprachlos. Ich würde mich freuen, wenn sie übersetzt werden könnten.
 
5.    Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie glauben Sie, kann man die Israelis heute dazu bewegen, zu den ethischen Werten des Judentums zurückzukehren und nach dem Prinzip von Hillel zu leben. (Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu-)
 
Frau Ellen Rohlfs: Das ist eine sehr schwere Frage. Immer mehr komme ich zu der Erkenntnis, dass sich Israel nicht selbst aus dem Sumpf von nationalistischer Ideologie, religiös gefärbter Mythen, von Kolonialismus, von Rassismus, und Arroganz herausziehen kann.
 
 Es gibt in den USA, in Europa, ja, auch in Israel jüdische Stimmen, die das sehen und die sagen: „Nicht in meinem Namen!“  Aber ihre Stimmen sind nicht laut genug, sie erreichen nicht die Verantwortlichen im Land und nicht die Verantwortlichen in der sog. westlichen Welt. Ich hoffe nicht, dass Israel das erleben muss, was wir Deutsche 1945 erlebten: die totale Niederlage der Nazis und die Zerstörung vieler Städte und vieler Kriegstoten.
 
 Einer der bedeutendsten Intellektuellen in Israel war Prof. Jeshajahu Leibowitz, ein frommer Jude (94 ges.). Er hat schon in den 80erJahren von „Judäo-Nazis“ gesprochen und Hajo Meyer schrieb ein Buch: „Das Ende des Judentums“.  Darüber war ich sehr erschrocken.
 
 
 
 
Quelle: wikipedia
 
Ich bin also nicht optimistisch, was die Rückkehr zu den ethischen Werten des Judentums betrifft. Es sei denn, ein Prophet ersteht aus den kleinen Gruppen jüdischer Frommer, vielleicht aus der Neturei Karta International- Gruppe, die folgendes auf der Visitenkarte ( die ich mal in Brüssel erhielt) steht: „Pray for the Speedy Peaceful Dismantlement of the State of ‚Israel‘“.
 
6.    Dr. phil. Milena Rampoldi: Was haben Sie als Friedensaktivistin erreicht und welche Ziele möchten Sie noch erreichen?
 
Frau Ellen Rohlfs: Ich hoffe, dass ich mit Hilfe  meiner vielen Dia-Vorträgen in vielen Orten, mit meinen drei Büchern ( „Sag, Mutter wie sieht Frieden aus?“, „Die Kinder von Bethlehem“), mit den drei  Ausstellungen:  „Palästina in Gegenwart und Vergangenheit“ in 7 Städten , „It‘s possible“ Bilder von israelischen und palästinensischen Künstlern –( 2 Kunstausstellungen) in Oldenburg und Leer, und seit Jahren mit meinen Übersetzungen viele Menschen erreicht habe, dass ich ihnen dabei half, die Augen zu öffnen für die Realität und die Wahrheit über Israel, und dass sie begreifen, dass Antisemitismus (Rassismus) etwas völlig anderes ist als Antizionismus (Kritik an der Politik der Regierung Israels).
Ich wünschte mir, ich könnte zusammen mit antizionistischen, jüdischen und nicht jüdischen Freunden unsere Regierung dahin bringen, dass sie endlich aufwacht  und ihre Politik gegenüber Israel ändert – um beider Völker willen. 
 
 
 
 
7.    Dr. phil. Milena Rampoldi: as möchten Sie den Kindern in Gaza heute sagen?
 
Frau Ellen Rohlfs: Das ist auch sehr schwer. Ich habe in den 90erJahren beim Aufbau eines Kindergartens in Gaza finanziell mitgeholfen und war mehrfach dort. Ich habe also Freunde dort. Ich kann ihnen nur sagen, dass ich  und andere sie nicht vergessen habe und dass ich auf verschiedene Weise ihnen helfe. Sie sollen wissen, dass sie nicht vergessen sind, dass ich und viele Freunde hier für ihre Menschenrechte kämpfen. Bisher leider ohne Erfolg. 
 
 

 

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