ProMosaik e.V. im Gespräch mit Manuela di Marco von Iamaneh Schweiz: gegen genderbasierte Gewalt

Von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Ein sehr aufschlussreiches Interview mit IAMANEH Schweiz. Ich habe mit Manuela di Marco gesprochen. Sie ist seit 2002 Verantwortliche Kommunikation bei IAMANEH Schweiz. Über sich und ihre Tätigkeit bei IAMANEH Schweiz teilte sie mir Folgendes mit: „Zu meinen Aufgaben im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit gehören unter anderem die Betreuung der Medien, die Durchführung von Veranstaltungen, die Konzeption und Realisierung von Broschüren und Publikationen; im Bereich der Mittelbeschaffung obliegt mir die Spender- und Mitgliederpflege sowie das Legatemarketing“.
 
Milena Rampoldi: Welche sind die Hauptziele von Iamaneh Schweiz und woher kommt der Name Ihrer Organisation?
Manuela di Marco: IAMANEH Schweiz ist eine Entwicklungsorganisation und engagiert sich im Bereich der reproduktiven und sexuellen Gesundheit sowie der genderbasierten Gewalt in Westafrika und im Westbalkan. Zielgruppe sind Frauen und Kinder, die wir dabei unterstützen, ihre Zukunft und Entwicklung eigenständig zu gestalten. Der Name IAMANEH ist eine Abkürzung „International Association for Maternal and NeonatalHealth“.
 
MR: Wie wichtig ist Gesundheit von Frauen und Kindern in den Entwicklungsländern?
MdM: Frauen bilden das Rückgrat der Gesellschaft. Sie tragen wesentlich zum Überleben der Familien bei. Dennoch werden ihre Grundrechte und die ihrer Kinder vielfach verletzt. Ihr Leben ist in vielen Ländern von Armut geprägt, sie sind Opfer von Ausbeutung und Gewalt, haben oft keinen oder ungenügenden Zugang zur Gesundheitsversorgung, Land, Einkommen und Bildung.
Einführung
Die Verbesserung der Gesundheit und insbesondere der reproduktiven Gesundheit sowie der Schutz vor Gewalt und Ausbeutung sind der Schlüssel zur Überwindung von Armut.
Sexuelle und reproduktive Gesundheit (SRHR) und Rechte umfasst gemeinhin die Bereiche Sexualaufklärung, Familienplanung, sowie Schwangerschaft und Geburt. Dabei geht es um ein uneingeschränktes körperliches und seelisches Wohlbefinden in Bezug auf alle Bereiche der Sexualität und Fortpflanzung. Zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit gehört die Freiheit, über die individuelle Familienplanung entscheiden zu können – zum Beispiel ob und wann man Kinder bekommen möchte und wie gross die Familie werden soll und ein bereicherndes Sexualleben zu führen. Die SRHR zieht gesundheitsorientierte Rechte mit ein, wie beispielsweise den Zugang zu medizinischer Behandlung bei Gesundheitsproblemen und den Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten, das Recht auf umfassende Informationen über alle Fragen der Sexualität und der Fortpflanzung sowie das Recht auf ein Leben frei von sexueller Gewalt, sexuellem Zwang und Ausbeutung. Trotz internationalen Aktionsplänen und weitreichenden politischen Bekenntnissen, existieren diese Rechte für viele Menschen nur auf dem Papier.
Sexuelle und reproduktive Gesundheit
Rund 220 Millionen Frauen auf der Welt haben nach wie vor keinen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln, obwohl sie eine Schwangerschaft gerne vermeiden würden (WHO 2013).
Als Folge daraus resultieren jedes Jahr 80 Millionen ungewollte Schwangerschaften, wovon 40 Millionen in einer Abtreibung enden (UNFPA 2012). In vielen Entwicklungsländern sind Abtreibungen verboten und werden nicht fachgerecht durchgeführt, was lebensbedrohlich für die Frau sein kann. Nach Schätzungen der WHO starben 2013 täglich rund 800 Frauen aufgrund von Komplikationen bei der Entbindung, davon 500 in Subsahara-Afrika, wo die Müttersterblichkeit weltweit die höchste ist (Mali: 540/100‘000). Millionen von Frauen leiden ihr Leben lang an Geburtskomplikationen, wie Scheidenfisteln und Unfruchtbarkeit. Viele der Todesfälle und Gesundheitsprobleme können durch ein funktionierendes Gesundheitssystem sowie medizinische Begleitung während der Schwangerschaft und Geburt verhindert werden. Die Umsetzung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte kann Leben retten und trägt entscheidend zur Armutsreduktion und nachhaltigen Entwicklung bei.
Gewalt gegen Frauen
Die Benachteiligung von Frauen und Mädchen ist nach wie vor eines der grössten Hindernisse für ökonomisches Wachstum und Armutsreduktion. Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine der häufigsten Menschenrechtsverletzungen weltweit. Sie kennt keine sozialen, ökonomischen oder nationalen Grenzen. Eine von drei Frauen erlebt physische oder sexuelle Gewalt. Dies hat Einfluss auf ihre Gesundheit, Würde, Sicherheit und Autonomie. Gleichzeitig ist genderbasierte Gewalt ein Tabu und bleibt oft verborgen.
Die Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frauen ist in der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung ein zentrales Ziel. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Verhinderung und Vorbeugung aller Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, der Beseitigung von schädlichen Praktiken wie Zwangsheirat und Mädchenbeschneidung sowie der Gewährleistung des Zugangs zu sexueller und reproduktiver Gesundheit. Ausserdem sollen Reformen durchgeführt werden, welche Frauen die gleichen Rechte auf wirtschaftliche Ressourcen sowie Zugang zu Grundeigentum verschaffen. Chancengleichheit soll auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung im politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben sichergestellt werden. Frauen wollen in erster Linie als Akteurinnen wahrgenommen werden.
Es wird vor allem darauf ankommen, die Ursachen der Ungleichheiten und Diskriminierung zu beseitigen. Im Rahmen der neuen Entwicklungsagenda 2030 setzte sich die Schweiz erfolgreich dafür ein, dass die Gleichstellung der Geschlechter sowohl als Einzelziel (“Gender-Ziel”) als auch themenübergreifend Verankerung fand.
Miteinbezug von Männern
Um geschlechtsspezifische Gewalt nachhaltig zu bekämpfen, müssen Männer und Jungen als potentielle change agents angesprochen und aktiv und gleichberechtigt in diese Arbeit miteinbezogen werden. Die Wichtigkeit, Männer in die Präventionsarbeit miteinzubeziehen, ist mittlerweile auf nationaler und internationaler Ebene anerkannt. So beispielsweise in der Abschlusserklärung der UN Commission on the Status of Women (CSW) 2013 und dem Übereinkommen des Europarates «Zur Verhütung und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt» (Istanbul Konvention). In den kommenden Jahren soll im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit das Engagement zur Arbeit mit Männern und Knaben mit Fokus auf Gewaltprävention in Postkonflikt- und Transformationsprozessen gestärkt und ausgebaut werden.
Schlusswort
Soziale Ungleichheit führt oft zu Ausgrenzung und Diskriminierung und ist ein relevanter Faktor für die zunehmende Armut und Gewaltbetroffenheit. Frauen und Mädchen sowie Kinder sind dabei durch ihren Status oft stärker gefährdet und erfahren damit vermehrt Ausbeutung, Gewalt und Ausgrenzung. Jugendliche und junge Erwachsene sind Träger von aktuellen und künftigen Veränderungsprozessen, insbesondere männliche Jugendliche aber auch Männer sind eine wichtige Zielgruppe, die verstärkt in die Projektaktivitäten einbezogen und in die Verantwortung genommen werden soll.
 
 
 
 
MR: Bitte erzählen Sie uns von einigen Projekten, die Sie gerade durchführen.
MdM: Burkina Faso: Gewalt gegen Frauen und Mädchen beenden – Verantwortungsbewusstsein bei Männern schaffen!
In Burkina Faso werden Mädchen und junge Frauen oft Opfer von Beschneidung, sexueller Belästigung, Früh- oder Zwangsheirat oder unerwünschter Schwangerschaft, aufgrund derer sie nicht selten aus Familie und Gesellschaft ausgegrenzt werden.
In Zusammenarbeit mit unserer Partnerorganisation ADEP haben wir uns zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zur Verbesserung der Rechte und der Lebenssituation der Mädchen in Burkina Faso zu leisten. Interessant ist hierbei ihr männerorientierter Ansatz, der mit männlichen Goodwill-Botschaftern in den Dörfern arbeitet: Sie agieren als gutes Beispiel, indem sie ihre Töchter mit Respekt behandeln, ihnen eine Ausbildung ermöglichen und sie nicht frühzeitig verheiraten. Als Botschafter animieren sie andere Männer dazu, es ihnen gleich zu tun. Der Ansatz der Botschafter hat sich in anderen von ADEP durchgeführten Projekten bewährt und wurde in diesem Projekt übernommen, um die Dorfbevölkerung und insbesondere die Männer zu den Themen Gewalt an Frauen und Mädchen, Früh- und Zwangsheirat und Schwangerschaften von Mädchen zu sensibilisieren und bei ihnen eine Einstellungs- und Verhaltensänderung zu erzielen. Zudem werden von Gewalt betroffene Mädchen und Frauen betreut und auf dem Weg in ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit unterstützt.
Der Sensibilisierung der Bevölkerung sind in diesem Projekt ein grosser Teil der Aktivitäten gewidmet. Mit Theater- und Videovorführungen, Radio- und Fernsehsendungen und der Verbreitung von Informationsmaterial sollen die Botschaften gegen Gewalt sowie Früh- und Zwangsheirat breit in der Bevölkerung gestreut werden.
Mali: Bildung – der Schlüssel zur Gesundheit
Schulbildung und sexuelle und reproduktive Gesundheit stehen in engem Zusammenhang.
So beeinflussen die Dauer des Schulbesuchs und das Bildungsniveau im Allgemeinen das Heiratsalter, die Paarbeziehung, die Verwendung von Verhütungsmitteln, die Beschneidung, die Ernährung und die Säuglings- und Kleinkindpflege.
In Mali sind Themen rund um die Sexualität normalerweise tabu, Aufklärung gibt es schlichtweg nicht. Ziel dieses Projekts ist unter anderem, in der Schule verstärkt Wissen im Bereich Gesundheit, Sexualität und Rechte zu vermitteln. Das neu erworbene Wissen unter anderem über die Verwendung von Verhütungsmitteln, die Risiken einer Beschneidung, die Bedeutung von Hygiene tragen dazu bei, dass junge Mädchen und Jungen einen verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität entwickeln, sich über ihre Rechte im Klaren sind, und Einfluss nehmen können auf ihre Gesundheit – so können beispielsweise Jugendschwangerschaften reduziert werden.
Die Sensibilisierungs- und Informationsaktivitäten zielen vor allem auf Jugendliche über Schulen ab, aber auch auf die ländliche Bevölkerung, auf religiöse Autoritäten oder Dorfchefs. Daneben ermöglicht das Projekt 130 Mädchen, die in extrem armen Verhältnissen leben, einen Schulbesuch und bezahlt ihnen Schuluniform und -bücher
Bosnien-Herzegowina: Ein Frauenhaus für gewaltbetroffene Frauen und Kinder In Bosnien-Herzegowina (BH) ist Gewalt gegen Frauen und insbesondere häusliche Gewalt ein weit verbreitetes Phänomen. Häusliche Gewalt wird als eine Familienangelegenheit betrachtet, die ausserhalb des Einflusses des Staates bleiben sollte. Das Problem wird auf allen Ebenen verharmlost, wobei viele offizielle Vertreter der Ansicht sind, dass weibliche Opfer Gewalt provoziert hätten bzw. selber daran schuld seien. Deshalb sollte eine Frau über häusliche Gewalt schweigen, denn es wird als Eingeständnis der eigenen Schande und des Scheiterns angesehen. Es wird auch erwartet, dass die Frau eine gewalttätige Beziehung aufrechterhält, denn gemäss den traditionellen Ansichten stehen familiäre Verpflichtungen über den individuellen Rechten der Frau.
Im von unserer Partnerorganisation Buducnost geführten Frauenhaus erhalten Frauen und Kinder vorübergehend Schutz und Unterstützung in der Krisenbewältigung sowie in der Vorbereitung eines Lebens nach dem Frauenhaus. Neben Unterkunft, Verpflegung und medizinischer Notversorgung bietet das Frauenhaus den Betroffenen professionelle Begleitung. Das Frauenhaus kann 16 Personen, aufgeteilt in vier Zimmer, aufnehmen.
Während dem Aufenthalt im Frauenhaus ist es wichtig, den gewaltbetroffenen Kindern verschiedene Formen von Betreuung und Beschäftigung zukommen zu lassen, da sie häufig unter den gleichen Symptomen wie ihre Mütter leiden: Angstzustände, Hyperaktivität, Schlafstörungen, psychosomatische Symptome, Lern-schwierigkeiten, Gefühle der Hilflosigkeit. Die Arbeit mit den Kindern umfasst individuelle Arbeit, Gruppenarbeit, Familiensitzungen und regelmässige Gespräche mit den Müttern.
Ein bedeutender Fokus wird ausserdem die Förderung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen sein. Hier wird eine enge Zusammenarbeit mit entsprechenden lokalen Institutionen und der Wirtschaft angestrebt. Ein spezifisch auf diese Zielgruppe ausgerichtetes Empowerment-Programm soll entwickelt und die Frauen in ihrem Prozess zur ökonomischen Unabhängigkeit sorgfältig begleitet werden.
Unser Partner Buducnost nimmt eine führende Advocacy- und Lobbyingrolle für Frauenfragen ein. Trotz formaler Zugeständnisse und gesetzlicher Verbesserungen ist die regelmässige Finanzierung der Frauenhäuser durch staatliche Mittel in Bosnien-Herzegowina nach wie vor nicht Realität. Aus diesem Grund hat die Durchsetzung der Verantwortungsübernahme für die Finanzierung der Frauenhäuser und Beratungsdienste durch den Staat einen hohen Stellenwert.
MR: Wie sensibilisieren Sie die Schweizer Gesellschaft?
MdM: In der Schweiz engagieren wir uns in der Informations- und Sensibilisierungsarbeit, welche neben der Entwicklungszusammenarbeit ein wichtiger Teil des Organisationsauftrages bildet.
Wir verstehen Informationsarbeit als Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit. Sie beinhaltet die Bereitstellung und Aufarbeitung von Grundlageninformationen zu relevanten Themen der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) und im Speziellen zu unseren Kernthemen. Sie wendet sich an spezifische Zielgruppen und erreicht deshalb weniger die breite Öffentlichkeit als ein spezifisches Publikum, mit dem wir im Rahmen der Wissensvermittlung in einen engeren Austausch treten. Wir zeigen dabei auf, was Entwicklungszusammenarbeit bewirkt, aber auch wo ihre Grenzen liegen. Wir stützen uns dabei auf Erfahrungen aus unserer Projektarbeit und auf Erkenntnissen aus unserem Fach- und Themenwissen.
In der Öffentlichkeitsarbeit tragen wir mit eigenen Publikationen und in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Rahmen von Veranstaltungen unsere Themen und Anliegen in die Öffentlichkeit. Damit wollen wir über die komplexen Zusammenhänge von Krankheit, Armut, Gewalt, Ungleichheit und Benachteiligung informieren und die Öffentlichkeit für entwicklungspolitische Anliegen sensibilisieren.
 
MR: Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit Organisationen vor Ort?
MdM: Die Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen ist ein Schlüsselelement der Umsetzung des Programmes. Zivilgesellschaftliche Organisationen stehen in einem dynamischen Umfeld und nehmen eine wichtige Rolle in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen ein. Die Förderung und Stärkung der lokalen Partnerorganisationen und die Nutzung von Synergien in der Zusammenarbeit mit den nationalen und internationalen Akteuren, Netzwerken und Behördenstellen tragen zu einer nachhaltigen Entwicklung bei.
 
MR: Was haben Sie schon erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
MdM: IAMANEH Schweiz ist seit Ende der 90er Jahre durch ein kontinuierliches Wachstum gekennzeichnet, dies sowohl auf der Ertragsseite als auch bezüglich des Programmaufwandes. Die Fokussierung auf die drei Aktionsbereiche Gesundheit, Gender und Gewalt hat zu einem weiteren Entwicklungsschub in der Organisation und im Programm beigetragen und auch zu einer Vertiefung der Themenkompetenzen geführt. Damit gewinnt das Gesamtprogramm weiter an konzeptioneller Schärfe und thematischer Tiefe.
Wir sind klar fokussiert auf die Themen sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie genderbasierte Gewalt in zwei Regionen der Welt: in Westafrika und im Westbalkan. Wir engagieren uns auf der Basis der Menschenrechte.

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