ProMosaik e.V. interviewt den Autor und Journalisten Arn Strohmeyer

Liebe Leserinnen und Leser,
 

freue mich sehr, Ihnen heute das aufschlussreiche Interview mit dem Autor und Journalisten Arn Stromeyer vorzustellen. 

Herr Stromeyer hat sich in seiner Berufung als Journalist sehr viel mit den NS-Verbrechen und dann mit dem Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina auseinandergesetzt. Für Herrn Stromeyer wie auch für ProMosaik e.V. sind die Palästinenser heute die Opfer der Opfer von damals.

 

Der deutsche Philosemitismus ist heute nur die Rückseite des Antisemitismus, so Strohmeyer, da viele Deutsche es noch nicht geschafft haben, ihre Schuld aufzuarbeiten, die sie an den NS-Verbrechen von damals tragen.

 

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Herr Stromeyer erklärt uns dann auch prägnant den Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus. Auch hier liest er uns von ProMosaik e.V. aus der Seele.

 

Es muss dringend politischer Druck auf Deutschland ausgeübt werden, damit Deutschland Israels Verbrechen mitdenunziert und am Aufbau eines palästinensischen Staates mitwirkt. Die Palästinenser haben das Recht auf einen souveränen Staat.

 

Herr Stromeyer wünscht sich auch, dass die monotheistischen Religionen im Nahen Osten dazu beitragen, eine Kultur des Friedens aufzubauen, anstatt sich gegenseitig zu bekämpfen.

 

In den deutschen Medien müssen die israelischen Verbrechen endlich vorkommen. Außerdem sollen die 

Medien keine antizionistischen Stimmen stilllegen, indem sie ihnen Antisemitismus vorwerfen, denn mit Antisemitismus hat dies nichts zu tun, so Strohmeyer.

 

Wir freuen uns sehr auf Ihre Kommentare hierzu.

 

Dankend

 

Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.   

 

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 Quelle: palästinaportal

 

 

Dr. phil. Milena Rampoldi:

Wie kamen Sie über Ihre Karriere als Journalist auf das Thema des Nahen Ostens und Palästinas?

 

Herr Arn Strohmeyer:

Ich habe mich auch schon, bevor ich Journalist wurde, sehr für das Thema Nahost interessiert. Das hängt sicher mit meinem Vater zusammen, der Nazi-belastet war, sodass das Problem der deutschen Schuld sehr früh für mich wichtig wurde. Da steht man dann aber bald vor einem schwierigen Konflikt: der Scham über die deutschen Verbrechen und der Empörung über das Vorgehen von Juden (ich sage ausdrücklich nicht den Juden), eben den Israelis gegen die Palästinenser. Wobei ich die Dimension der NS-Verbrechen natürlich nicht mit dem Unrecht gleichsetzen will, das Israel am palästinensischen Volk begeht. Aber es gibt da auch nichts zu bagatellisieren. Ich habe 1972 das Buch von Walter Hollstein Kein Frieden um Israel. Zur Sozialgeschichte des Palästina-Konflikts gelesen, das hat mir die Augen geöffnet. Seitdem verurteile ich die israelische Politik und setze mich publizistisch für eine gerechte Lösung dieses Konfliktes ein, besonders natürlich für die Palästinenser, sie sind ja in jeder Beziehung die Underdogs, die Unterdrückten und Besetzten, die Opfer der Opfer.

 

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Dr. phil. Milena Rampoldi:

Sie schreiben über Ihr Engagement für den Frieden in Palästina: Wer das mit Antisemitismus verwechselt, bringt sich selbst in Beweisnot – nicht die Menschen, die sich für die Schaffung eines gerechten und humanen Friedens im Nahen Osten einsetzen.

Können Sie das Problem des allgemeinen Verdachts gegenüber Antizionisten in Deutschland unseren Leserinnen und Lesern erklären?

 

Herr Arn Strohmeyer:

Sehr viele Deutsche haben ganz offensichtlich die aus den NS-Verbrechen resultierende Schuld nicht aufgearbeitet, sondern versuchen bis heute, ihren Schuldkomplex durch einen völlig einseitigen Philosemitismus zu kompensieren. Aber ich habe von jüdischen Autoren gelernt, dass Philosemitismus nur die Rückseite des Antisemitismus ist. Der Philosemitismus verstellt aber den Blick für die politischen Realitäten, wofür die deutsche Nahost-Politik ein beredtes Beispiel ist. Das zeigt sich aber auch in der offenbar gewollten ungenauen und verwirrenden Verwendung der Begriffe Antisemitismus und Antizionismus. Sie müssen aber klar voneinander unterschieden werden: Antisemitismus ist Hass auf Juden, weil sie Juden sind, was bis zum Vernichtungsantisemitismus gehen kann. Antizionismus ist die Kritik an einer politischen Ideologie, in deren Namen in Israel/Palästina eine sehr inhumane und völkerrechtswidrige, siedlerkolonialistische Politik betrieben wird. Eine solche Politik zu kritisieren, verlangt allein der menschliche Anstand und hat mit Antisemitismus gar nichts zu tun. In diesem Zusammenhang, in dem es um das Schicksal von Millionen Menschen geht, den Antisemitismus-Vorwurf zu benutzen, ist diffamierend und denunziatorisch. Man will damit nur jede Diskussion über das Vorgehen Israels unterbinden.

 

 
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Quelle: cicero.de

 

Dr. phil. Milena Rampoldi:

Könnten Sie unseren Leserinnen und Lesern eine persönliche Gedanken über Ihre Schrift „ Volk ohne Hoffnung: Eine Reise zu den Palästinensern hinter der Mauer“ mitteilen und erklären, warum die Empathie wichtig für den Frieden ist?

 

Herr Arn Strohmeyer:

Ich habe dieses kleine Buch nach einer Rundreise in Israel/Palästina geschrieben. Ich wusste ja schon einiges über den Konflikt, als ich dorthin fuhr. Aber die Eindrücke, die ich vor allem in den besetzten Gebieten bekam, waren so schrecklich, dass ich lange gebraucht habe, das zu verarbeiten. Ich hätte vermutlich vieles gar nicht geglaubt, was mir die Palästinenser dort erzählt haben, aber ich habe es ja mit eigenen Augen gesehen und außerdem haben sie Kameras, mit denen sie alles aufnehmen. Die Kameras bekommen sie übrigens zu Dokumentationszwecken von israelischen Menschenrechtsorganisationen wie Betselem gestellt. Ich musste das Gesehene und Gehörte einfach aufschreiben, damit möglichst viele Menschen erfahren, was dort passiert. Die meisten Menschen hier wissen das gar nicht. Ich hoffe, dass die Empathie mit den Palästinensern und das Wissen um die Vorgänge dort in Deutschland politischen Druck auf Israel erzeugen, der dann in Richtung Frieden wirkt.

 

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Dr. phil. Milena Rampoldi:

Welche ist Ihre politisch-religiöse Utopie für den Nahen Osten?

Herr Arn Strohmeyer:

Die drei Religionen, die dort präsent sind, hätten ja eigentlich die Aufgabe, unter Zurückstellung eigener Interessen vermittelnd und versöhnend in den Konflikt einzugreifen. Leider sehe ich nicht, dass sie das tun. Es ist eher das Gegenteil der Fall. Ich würde mir wünschen, dass in einer nicht allzu fernen Zukunft eine für beide Seiten gerechte Lösung des Konflikts möglich wird, zu der auch die Religionen ihren Teil beitragen.

 

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Quelle: qantara.de

 

 

Dr. phil. Milena Rampoldi:

Wie wichtig sind die Medien an der Mitschuld Deutschlands am Leid der Palästinenser und warum?

Herr Arn Strohmeyer:

Die deutschen Medien stehen zumeist sehr einseitig auf Seiten Israels. Das hängt mit dem deutschen Schuldkomplex zusammen, den man durch Philosemitismus zu kompensieren versucht. Dadurch vermitteln sie ein schiefes und verzerrtes Bild der politischen Realität dort. So kommen die täglichen Grausamkeiten der israelischen Besatzungspolitik in der Berichterstattung gar nicht vor, etwa das Wegsperren von Menschen hinter Mauern, der Landraub, die ständige Zerstörung von Häusern, Olivenhainen und Feldern, die nächtlichen Razzien und Verhaftungen, die Schikanen an den Checkpoints und die Hunderte von Kindern in israelischen Gefängnissen. Bei den deutschen Journalisten/innen sitzt die Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf tief, und deshalb ist die Darstellung des Nahost-Konflikts so einseitig und unvollständig. Zumeist – wie beim Gaza-Krieg im letzten Sommer – werden die israelischen Argumente kritiklos übernommen, ohne sie zu hinterfragen. Im Zusammenhang mit den Vorgängen in der Ukraine ist ja eine breite und gute Diskussion über die Wahrhaftigkeit der Berichterstattung in Gang gekommen. Sie müsste endlich auch über die Berichte aus Israel/Palästina geführt werden. Ich möchte hier aber nicht alle deutschen Journalisten/innen kritisieren, es gibt auch einige sehr gute und couragierte.

 

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Quelle: berlinerzeitung.de

 

Dr. phil. Milena Rampoldi:

Wie kann man Holocaustrevisionismus und humanitären Antizionismus zusammenbringen und vorantreiben?

Herr Arn Strohmeyer:

Ich bin natürlich kein Holocaust-Leugner. Ich denke, dass dieses unsägliche Verbrechen historisch gut belegt ist. Der israelische Historiker Shlomo Sand, den ich sehr schätze, hat aber darauf hingewiesen, dass alle anderen Holocaust-Opfer neben den Juden, die es ja auch gegeben hat, fast völlig aus der Erinnerung verschwunden seien. Der Holocaust sei ausschließlich zur jüdischen Tragödie gemacht worden. Das muss man kritisch sehen. Wenn Israel seine Politik gegenüber den Palästinensern außerdem mit Berufung auf den Holocaust rechtfertigt und dieses Volk sogar zu den „neuen Nazis“ macht, dann ist das von einer universalistischen Ethik aus, die sich auf die Menschenrechte und das Völkerrecht stützt, sicher verwerflich. Die Palästinenser hatten mit dem Holocaust nichts zu tun, sie mussten aber mit dem Verlust ihrer Heimat den Preis dafür bezahlen. Hier ist ein Ansatzpunkt für mich, die zionistische Politik zu kritisieren. Und ich sage noch einmal: mit Antisemitismus hat das gar nichts zu tun.

 

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